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Peter Jost: Instrumentation. Geschichte und Wandel des Orchesterklanges
von ta anno 2004

Peter Jost: Instrumentation. Geschichte und Wandel des Orchesterklanges

"Bärenreiter Studienbücher Musik" nennt sich die Reihe, in welche sich auch Peter Josts Buch über die Instrumentation einreiht. Um keine falschen Vorstellungen zu wecken, müssen daher ein paar wenige Abgrenzungen gleich vorgenommen werden: Jost beschäftigt sich in der Tat ausschließlich mit dem Bereich der klassischen Musik, was sicherlich seine Berechtigung hat, sieht man sich an, welche Rolle der Instrumentationsbegriff in der Popularmusik spielt bzw. welche er spielen könnte: Gar keine. ("Sound" ersetzt "Instrumentation". Höchstens.) Weiter muss darauf hingewiesen werden, dass der Begriff "Studienbuch" hier gleichsam hundertprozentig berechtigt fallen darf. Zum einen darum, weil Jost sich faktisch auf den Bereich "Instrumentation" (wenn auch in allen seinen Facetten) beschränkt und also nur einen Ausschnitt aus den Möglichkeiten der Kompositionskunst präsentiert, ergo seinem Leser die weitere Einordnung überlässt, zum Anderen in Folge desselben Punktes darum, weil eine entsprechende musiktheoretische, im besten Fall auch musikgeschichtliche Vorbildung zur Lektüre nötig ist. Ohne Terminikenntnis, die über "Dur vs. Moll" und "4/4- vs. 3/4-Takt" hinausgehen oder gar ohne Befähigung, Partiturbeispiele aus klassischen Werken verstehen und analysieren zu können, wird Josts Buch für den Leser abstrakt und unverständlich bleiben. Allerdings ist zu vermuten, dass sich das Interesse an einem solchen Buch auf die Zielgruppe der ohnehin entsprechend Vorgebildeten beschränken wird. Die letzte Einschränkung bezieht sich auf den Rezensenten selbst: Er ist nur insofern vorgebildet, als dass er innerhalb des Prägungsrahmens, den dieses Buch verlangt, wohl alle Voraussetzungen erfüllt. Die inhaltliche Einordnung der Jost'schen Thesen, also die Frage nach der Klassifizierung seines Buches außerhalb seiner selbst und in der Fülle all der Veröffentlichungen, die es seit Berlioz' "Traite d'unstrumentation et d'orchestration modernes" (vermutlich das erste systematische Großwerk zum Bereich und Begriff der Instrumentation) zum einschlägigen Themengebiet gegeben hat, sowohl was Quellen- als auch was Sekundärliteratur betrifft, muss anderen, kompetenteren Rezensenten überlassen bleiben, diese Rezension macht um die inhaltlichen Fragestellungen des Buches einen plumpen Bogen - mein subjektiver Eindruck, dass Jost sachlich fundiert und gerade begrifflich äußerst differenziert vorgeht, hat also nur einen begrenzten Gültigkeitsbereich. Nach dieser abschreckenden Latte an Vorbemerkungen und den daran gekoppelten einleitenden Worten nun zum Text selbst:
Man könnte sicherlich meinen, der Gegenstandsbereich Instrumentation ließe sich in Kürze abhandeln, sofern nicht ausführlich und ständig auf einzelne Fallbeispiele eingegangen wird. Spätestens nach Josts Buch ist das Gegenteil klar: Was wir hier vor uns haben, ist ein Einblick in einen Bereich, der mit allen anderen Bereichen des Kompositionsprozesses korreliert, der damit beinahe in alle Bereiche wirkt, die sich vorstellen lassen, wenn von klassischer Musik die Rede ist, so man die formalen Aspekte (Gliederungsformen des klassischen Musikstücks) einmal weitestgehend außen vor lässt. Instrumentation und Dynamik, Instrumentation und Instrumentmaterial, Instrumentation und Ästhetik ... Der erste flüchtige Blick auf das Inhaltsverzeichnis von Josts etwa 170seitigem Buch zeigt die Spannbreite des behandelten Gegenstands bereits auf: Grob lässt sich "Instrumentation. Geschichte und Wandel ..." dabei in drei Teile gliedern. Im ersten Teil (S. 7 - S. 84) nimmt Jost begriffliche Schärfungen vor und grenzt die Instrumentation definitorisch, wenn auch überaus differenziert und perspektivisch vielseitig ein und ab, koppelt diese methodischen Akte ständig und sehr veranschaulichend an Beispiele aus der Musikgeschichte und/oder allgemeine Betrachtungen historischer Stadien der einzelnen zu behandelnden Punkte, während zum zweiten Teil hin (S. 85 - S. 141) der Weg aus der Abgrenzung in das Phänomen selbst, seine Funktionen und Zusammenwirkung mit anderen innermusikalischen Phänomenen beschritten wird (auch dies mit beeindruckender Beispielflut), um im letzten Teil (S. 142 - Ende) den kurzen Schwenk in die Musiktheorie speziell anhand des Problems der Vermittelung und Lehre von der "guten Instrumentation" zu wagen. Was hier systematisch anmutet, macht schlussendlich aber doch einen etwas willkürlichen Eindruck. Dies freilich liegt wohl eher in der Natur der Sache als in Josts gedanklicher Unordnung begraben. Denn in der Tat vermitteln verschiedene Kapitel (etwa "Werturteile", um nur ein Beispiel zu nennen) einen eher fragmentarischen Charakter, weil nach der Problematisierung des Gegenstandes (hier: Wann ist eine Instrumentation gut gelungen? "Gut" - Ist das überhaupt ein potentielles Prädikat für Instrumentation? u.ä.) und der Konkretisierung der abstrakten Fragestellung anhand von Fallbeispielen einzelner Komponisten und Meinungen diverser Sekundärliteraten meist schon "Schluss ist", d.h. brückenlos zum nächsten Kapitel übergegangen wird. Aber als Leser sei man hierbei damit vertröstet, dass es sich ja hier um ein überblicksartiges Stück Sekundärliteratur handelt, das nicht mit dem Anspruch verbunden sein darf, die Probleme, die es markiert, selbst zu lösen. Als Einstieg in den Bereich "Instrumentation" scheint mir Josts Buch aber ganz hervorragend geeignet. Jost schlägt viele Türen auf und leuchtet hinein, das Betreten der Räume bleibt dem weiteren Studium des Lesers (sofern interessiert) überlassen. Hilfreich hierbei sind schon bei Jost a) eine ausführliche Bibliographie mit Primär- und Sekundärliteratur zum Thema und b) die im Fließtext eingearbeiteten "Anregungen zum Weiterdenken", welche als kleine Aufgaben zum jeweiligen Kapitel fungieren und als entsprechende Vertiefungsansätze genutzt werden können, wobei hier der Wille zur Arbeit an den Partituren eines Brahms, Mahler, Prokofjew oder Messiaen vorausgesetzt sein muss. Damit sind wir wieder beim Studienbuchcharakter angelangt. Und am Ende der Rezension.

Peter Jost: Instrumentation. Geschichte und Wandel des Orchesterklanges. Kassel et al: Bärenreiter 2004. ISBN 3-7618-1719-3. 16,95 Euro






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