von rls
Wer das "Spider's Web"-Album von Ambehr schätzte, wird von "Tschornaja Doroga" möglicherweise etwas überrascht sein. Schon damals allerdings hatte die Umschreibung "Death/Folk/Thrash" eine gewisse abschwächende Wertung notwendig gemacht, die im Review zu besagter CD nachzulesen ist, und eine gewisse Weiterentwicklung offenbart, die nun auf "Tschornaja Doroga" einen bis anderthalb Schritte weiter nach vorn geführt hat. Das zeigt sich nicht nur in strukturellen Dingen (zwei der Songs basieren auf Motiven, die bereits in Songs der "Spider's Web"-CD enthalten waren), sondern am augenfälligsten in der Musik selbst. Die neue CD startet mit dem Titeltrack, der noch am ehesten auf "Spider's Web" gepaßt hätte und angedüsterten Power Metal mittleren Tempos darstellt, gesanglich zwischen Arts Gekreische in den Strophen und Marinas Klargesang im hochgradig eingängigen Refrain (der potentielle Hitfaktor übersteigt locker den des gesamten "Spider's Web"-Albums) pendelnd. Aber danach geht's schon los: "Nje Pogasitj" bietet reinrassigen Folk Metal häufig hohen Tempos mit einer einprägsamen Gitarrenmelodie - und schon hier enthält sich Art jeglichen Gekreischs, singt ausschließlich clean, und dabei bleibt er auch über die komplette weitere Albumdistanz, wobei gewisse Schwankungen in der Sicherheit festzustellen sind. In "Nje Pogasitj" wirkt er bisweilen noch etwas zu unentschlossen, als wisse er noch nicht, wie er dem fröhlichen Folkspeed richtig Paroli bieten könnte. Danach allerdings beginnt der Balladenteil des Albums, und gleich in "Ich Nositj Semjla Ustala" vollbringt der Sänger eine erstklassige Leistung, sowohl in den reinen Akustikpassagen als auch in der von der vollen Band gestalteten zweiten Songhälfte - warm, dunkel, sauber, treffsicher, emotional. Und das setzt sich fort, denn an Trackposition 4 wartet mit "Obnimi Menja" schon die nächste Ballade, diesmal noch durch gezupfte Kunststreicher und Klavier ergänzt, nachdem vorher schon eine Flöte das übliche Rockinstrumentarium ergänzt hatte (wer all das eingespielt hat, verrät das Booklet nicht - für die Produktion zeichnet übrigens wieder Sergej Lazar verantwortlich, obwohl einige Vocals auch im Studio des Daij-Bandkopfes Jewgeni Winogradow eingesungen wurden und noch andere in der armenischen Heimat zumindest eines Teils der Bandmitglieder). Hernach folgen die beiden erwähnten Neubearbeitungen älterer Themen - und siehe da, gleich "Ona Odna" wird zur nächsten Ballade, wenngleich nicht durchgängig, wie schon der wieder traditionellen Folkmetal verheißende Einleitungspart offenbart, der später auch als Zwischenspiel mehrmals in abgewandelter Form wiederkehrt; die Strophen und den Refrain indes bestreitet die Band wieder in heruntergeschalteter Version, wobei beide Herangehensweisen stets den Geist folkiger Melodien atmen. Lediglich der Schluß wirkt etwas uninspiriert, denn als man gerade den Eindruck gewonnen hat, jetzt würde die ganze Band zu einem begeisternden Instrumentalsolo ansetzen, ist der Song plötzlich zu Ende. Viel Zeit zum Grämen verbleibt indes nicht, denn die tief-warm-entrückt wirkenden Klänge des Intros von "Schag Wo Mrak" packen den Hörer und lassen ihn so bald nicht wieder los (der Rezensent überlegt immer noch, wo er ein ähnliches Arrangement außer bei Wilfried Mengs' "Das Bild" schon mal gehört hat), selbst wenn es sich hierbei nun schon um die vierte Ballade in Folge handelt - man glaubt es nicht, aber auch diese wird nicht langweilig, selbst ohne kontrastierenden härteren Part. Den Verdacht, man habe eine verkappte Kuschelrock-CD erstanden, beseitigt allerdings "Solnze Skrylos" nachhaltig, denn obwohl sich die Band auch hier eine downgestrippte Strophe leistet (aber nur eine!), landen wir hier wieder im flotteren Folk Metal mit deutlicher Power Metal-Schlagseite und wieder mal einer äußerst markanten Hauptmelodie. Die Komponistenangabe verrät dem Kenner, daß es sich hier um eine Coverversion handelt, und zwar um ein Lied von Matwej Blanter, von dem man in Deutschland kaum jemals etwas gehört hat außer seinem größten "Hit", nämlich dem unsterblichen und auch in Metalkreisen gern gecoverten "Katjuscha" (mal offiziell wie von Real Chaos, mal nur als nicht ausgewiesene Übernahme der Hauptmelodie wie von Lunatica); der vorliegende Track jedenfalls beweist erneut Blanters glückliches Händchen bei der Komposition eingängiger, aber nicht flacher Melodien, die das Zeug zu Ohrwürmern haben. Aber auch die Eigenkompositionen der Band sind nicht zu verachten, wie der Closer "W Poslednij Putj" beweist, der noch einmal klassischen Melodic Metal mittleren Tempos, gemäßigter Härte und ausstaffiert mit folkangehauchten Melodien bietet, einen schwer verständlichen gesprochenen Part einflechtet (der paradoxerweise nach einer marianischen Anrufung klingt) und die leider nur knapp 35 Minuten des Schwarzen Pfads auf hochklassigem Niveau abschließt. Das Booklet zeigt die Musiker in klassischen kaukasischen Trachten - sie stehen also zu ihrer Herkunft, auch wenn sie mittlerweile in Moskau wohnen (mittlerweile singen sie auch in Russisch, nachdem "Spider's Web" noch in Englisch gehalten war und dabei ein paar sprachliche Ungeschicklichkeiten offenbarte), und über den Gegensatz von Cover und Backcover sollte man sich auch mal so seine Gedanken machen. Das Verdikt, daß, wem der gängige Folkmetal nicht hart genug sei, sich Ambehr widmen sollte, kann zwar mit dieser CD nicht mehr aufrechterhalten werden (von den Thrash- oder Death-Wurzeln ist weit und breit nichts mehr zu entdecken), aber Ambehr bleiben auch in dieser neuen Soundgestaltung eine der interessantesten Bands aus der ehemaligen Sowjetunion.
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