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von rls

BAGIRA: Amnesija   (CD-Maximum)

Der traditionelle Metal beruht üblicherweise auf zwei Gitarren, und darauf ausgerichtet ist auch die kompositorische Arbeit der meisten Bands. Wer sich indes in der metallischen Geschichte etwas auskennt, dem dürfte die unterschiedliche Ausrichtung der Accept-Alben "Objection Overruled" und "Death Row" noch in Erinnerung sein. Die Alben der ersten Accept-Schaffensperiode waren klar auf zwei Gitarren ausgerichtet, auch wenn die Besetzung des zweiten Postens neben Wolf Hoffmann größeren Schwankungen unterworfen war und Hoffmann nicht selten dazu gezwungen war, im Studio alle Gitarrenparts allein einzuspielen. Genau das passierte auch bei "Objection Overruled", dem ersten Album nach der Accept-Reunion, die zunächst im Quartett durchgezogen wurde und als erstes tönendes Ergebnis das genannte, ebenfalls eindeutig auf zwei Gitarren ausgerichtete Album hervorbrachte. Aber der Posten des Zweitgitarristen konnte erneut nicht besetzt werden, und so entschlossen sich Accept, als Quartett weiterzumachen und auch für Touren auf einen Zusatzgitarristen zu verzichten. Das hatte Folgen für das nächste Album "Death Row", dem man deutlich anhört, daß die Kompositionsabteilung das Vorhandensein nur eines Gitarristen im Hinterkopf hatte und das Material so ausrichtete, daß es live auch mit nur einer Gitarre adäquat umzusetzen war. Das ergab zugleich eine gewisse Hinwendung zu moderneren Einflüssen, die nicht von allen Altfans goutiert wurde und auf dem Folgealbum "Predator" wieder heruntergefahren wurde, wodurch ein freilich völlig simplifiziertes Klangbild entstand, das auch nicht das Gelbe vom Ei war und im Zusammenhang mit weiteren Faktoren letztlich zur abermaligen Auflösung der Band führte. Sowohl Udo Dirkschneider, der U.D.O. wiederbelebte, als auch die 2010 ohne Udo abermals an den Start gehenden Accept setzten fortan wieder auf ihren althergebrachten Sound mit doppelter Gitarrenbasis.
Was hat das nun mit Bagira zu tun? Nun, auch diese spielen primär traditionellen Metal, haben nur einen Gitarristen - und man hört ihnen das auch deutlich an. Außerdem finden sich auch hier im Riffing diese latenten modernen Einflüsse wieder, die dem konsequenten Traditionsmetaller sauer aufstoßen könnten, aber dem Modernisten viel zu unauffällig sein werden, um Bagira deshalb seine Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu kommt noch ein anderer Schachzug der vier Tataren: Sie weben an einigen Stellen durchaus Elemente ein, für deren 1:1-Liveumsetzung man zwingend zwei Gitarristen braucht oder, falls nur einer vorhanden ist, den zweiten einsampeln oder seine Linien weglassen muß. Ein schönes Beispiel steht mit "Nje Sli Menja" gleich an Position 2 des Albums, wo das Hauptsolo klassisch-metallische Doppelläufigkeit zeigt. Viele andere der allerdings sowieso nicht sonderlich ausgedehnten Soloparts aber dürften ohne die darunterliegende (oder bisweilen auch gleich ganz weggelassene) Rhythmusgitarre problemlos funktionieren, und Bassist Igor Sawadski bzw. sein Nachfolger dürfte nicht überfordert sein, die Soundlöcher zu stopfen. Auffällig ist in dieser Hinsicht Song 6, "Wosduch Wokrug Polon...", mit gerade mal 3:06 Minuten der kürzeste der 13 Songs, aber auch einer der auffälligsten: Einem rhythmisch äußerst komplexen Einleitungsteil mit ebensolcher erster Strophe folgen eine simplere zweite Strophe, ein Baßsolo mit hintergründigen Leadgitarrengirlanden und ein ohne Rhythmusgitarre auskommendes Gitarrensolo. Da hat sich Arrangeur Alexander Schadrow also mal richtig ausgetobt, obwohl auch der Rest der Songs durchaus alles andere als eindimensional ausgefallen ist. Mit "Ja Budu Schitj" fehlt auch eine Halbballade nicht, und mit "Wnje Sakona" wagt sich das Quartett sogar an klassische Bluesschemata heran, die es gewissermaßen in Metal übersetzt, während "Igraja Bljus" im Bereich der traditionellen Bluesballade verbleibt, allerdings während des Hauptsolos und des unmittelbaren Folgeparts sowie im Finale auch mal zur Elektrischen greift, aber jederzeit entspannt bleibt, auch wenn der Gesang im Finale einen deutlich dramatischeren Ausdruck annimmt, aber durch die sanften Backings wieder abgemildert wird. Für einen modernistischen Eindruck sorgt allerdings auch Drummer Ruslan Kamalow, der oft und gern Halftimedrums oder andere "nichttraditionelle" Elemente einstreut, sich allerdings im richtigen Moment auch zurückzunehmen weiß und einschätzen kann, wann es Zeit für einen simplen Geradeausbeat ist - ein schönes Beispiel bietet das rhythmisch durchaus modernmetallisch groovende "Pod Kriki Stadionow", das aber ein speediges und traditionsverhaftetes Hauptsolo spendiert bekommen hat, und hier spielt Kamalow straight nach vorne und gönnt sich nur an den jeweiligen Phrasenübergängen kurze Abweichungen. Bleibt noch der Gesang zu analysieren: Mit Alla Bulgakowa ist hier eine Frau an vorderster Front aktiv, allerdings eine Rockröhre und keine klassisch orientierte Vokalistin. Wer Plattform noch kennt, wird sich hier an eine etwas unkreischigere Version von Michaela "Micky" Burkhardt erinnert fühlen, auch Die Happys Marta Jandova ist nicht in allzugroßer Entfernung anzusiedeln. Auch beim Gesang gilt aber, daß sich Bagira modernen Elementen nicht verschließen, denn an einigen wenigen Stellen verzerren sie die Lead Vocals etwas. Gelegentliche Zweitstimmen oder Backingshouts steuert Gitarrist Schadrow bei, wobei er in "W Oblitschii Swera" eine gar nicht so üble Klarstimme offenbart, deren leicht klagender Unterton ihn allerdings eher für eine Epic- oder Doomband qualifizieren würde. Die Gesangspassagen sind übrigens die einzigen Bestandteile des Albums, die in einem "echten" Studio aufgenommen worden sind - alles andere wurde im bandeigenen Proberaum eingezimmert und stellt den Beweis dar, daß man auch in Rußland unter solchen Bedingungen professionelle Ergebnisse erzielen kann. Interessanterweise wird das Album nach hinten immer ungewöhnlicher: Dem bereits erwähnten "Igraja Bljus" folgt "Pikowaja Damy", ein fast sechsminütiger, fast reinrassiger Traditionsmetaltrack überwiegend im Speedtempo (sollte hier Puschkin textlich Pate gestanden haben?), und "Amin" stellt eine Art Orchesterhalbballade ohne Orchester dar. So enden die 57 Minuten des Debütalbums der Kasaner Band, ohne daß man weiß, welcher Zielgruppe man "Amnesija" denn nun empfehlen soll. Trotzdem scheinen sich genügend Fans gefunden zu haben, denn das zweite Album "Po Krowy Sari" ist bereits erschienen, aber bisher noch nicht beim Rezensenten gelandet.
Kontakt: www.myspace.com/bagirametal, www.cd-maximum.ru

Tracklist:
Amnesija
Nja Sli Menja
U Poslednjei Tscherty
W Oblitschii Swerja
Ja Budu Schitj
Wosduch Wokrug Polon
Tanzujut Puli
Pod Kriki Stadionow
Wnje Sakona
Odnoi Krow
Igraja Bljus
Pikowaja Damy
Amin



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