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DIRECT: Direct
von rls

DIRECT: Direct   (Eigenproduktion)

Und nochmal archäologische Arbeit im tschechischen Metal-Untergrund: René Vrsecký grub in seinem Archiv außer diversem altem Stoff von Arkus (der in Form der "Prodejná"-Scheibe und eines Livealbums vorliegt) auch noch elf Songs von Direct aus, der Band, in der er vor Arkus spielte. Diese elf Songs wurden laut der Angabe auf dem Inlay 1988 im Studio Hostivar eingespielt, also dem gleichen Studio, das auch für die späteren Arkus-Aufnahmen verantwortlich zeichnete. Allerdings befallen einen beim Hören gewisse Zweifel, weil beispielsweise "Bez Penez" im Intro eine Art Liveatmosphäre aufkommen läßt, wenngleich kein Publikum zu hören ist. Entweder es handelt sich also zumindest partiell um Livemitschnitte, die dann nur noch im Studio nachbearbeitet wurden, oder aber das Quintett hat gewissermaßen eine "Live im Studio"-Atmosphäre geschaffen. Für letztgenannte Variante spricht die Tatsache, daß in den Gitarrensoli bisweilen keine daruntergelegte Rhythmusgitarre zu hören ist (die Band verfügte mit Milan Nemec nur über einen Gitarristen), und zwar auch in Songs, wo diese scheinbare Liveatmosphäre sonst nicht feststellbar ist, wie etwa gleich im Opener "Spartakus", mit dem Direct, ähem, relativ direkt zur Sache kommen und klarmachen, was von ihnen zu erwarten ist: Traditionsmetal relativ geradliniger Sorte, aber durchaus mit einigen eigentümlichen Ideen, wie man anhand des Solos im Opener bemerkt, das von der Melodik anfangs in eine ganz leicht alternativ angehauchte Ecke weist, wobei man sich noch einmal vergegenwärtigen muß, daß wir uns hier im Jahr 1988 befinden, also einem Jahr, in dem man noch nicht wußte, was das Wort Grunge eigentlich bedeutet. Relativ ungewöhnlich ist auch die dramaturgische Entscheidung, "Bez Penez" an die zweite Setposition zu rücken, was, wenn das Material 1988 als reguläres Album und nicht nur in Demoform (die Encyclopedia Metallum behauptet zumindest, daß es letztgenannte Veröffentlichungsform tatsächlich gegeben hat, es sich also nicht um reines Schubladenmaterial handelt) erschienen wäre, sicher nicht so gehandhabt worden wäre: Balladen spielen "durfte" man als Metalband damals schon, aber sie gleich so früh auf einem Album zu plazieren wäre weiland als Kommerzeinknickung gebrandmarkt worden. Dabei ist der Song an sich richtig klasse, verrät viel Gefühl des Gitarristen und mündet nach vier Minuten unverhofft doch noch in einen reichlich einminütigen flotten Teil mit wieder mal starken Leadgitarren, hier sogar zweistimmig, obwohl das nun gerade der Song ist, in dem diese scheinbare Liveatmosphäre im Intro am deutlichsten zutagetritt (auch dort sind übrigens schon zwei Gitarristen zu hören, es sei denn, Bassist Martin Koziak übernimmt die andere Instrumentallinie). Mit diesen beiden Songs sind allerdings schon die Eckpfeiler des Direct-Schaffens abgesteckt, ab sofort gibt es nur noch gewisse Verfeinerungen, wobei einige gewagte und kaum vorbereitete Tempovariationen in "Nukleární Zkáza" dem Traditionsmetaller Herzrhythmusstörungen bereiten könnten - aber diesen Spaß gönnen sich Direct gleich mehrfach, auch in "Bes (Delirium Tremens)", und wenn man die Songs einmal intus hat, weiß man auch genau, wann da wieder mal ein solcher Wechsel vor der Tür steht und mit selbiger ins Haus fällt. Ansonsten beginnt sich mit zunehmender Spielzeit auch noch ein gewisser Motörhead-Touch breitzumachen, wenn René Vrsecký ins schnelle Ufta-Ufta verfällt, und das tut er oft und gern. Dazu paßt auch das relativ rauhe Sangesorgan von Mirek Necas, der allerdings auch gerne mal höhere Schreie einstreut. In der Halbballade "Ranní Funus" wird er zudem am Mikro durch den cleaner, aber nicht ganz hundertprozentig treffsicher singenden Bassisten abgelöst, der auch den zugehörigen Text geschrieben hat, während das sonst der Job des Sängers war. Nicht nur im nach der Band benannten Instrumentalstück kommen einem bisweilen alte belgische Bands wie Crossfire in den Sinn (nach den Beschreibungen könnte man auch Parallelen zu Acid ziehen, aber von denen besitzt der Rezensent kein Material und kann das daher nicht exakt verifizieren), und auch die alten Running Wild taugen streckenweise durchaus als Vergleich. Weil auch Direct um letzteren Fakt wußten, haben sie unter die elf Songs ein Running Wild-Cover geschmuggelt, das man nur beim Blick auf die Tracklist nicht als solches erkennt: Sie haben es mit einem neuen tschechischen Text versehen - eine in Osteuropa gängige Praxis, Coverversionen mit landessprachlichen Texten zu spielen, die man von den Landsleuten Arakain oder zum Beispiel auch von Arija aus Rußland kennt. Hinter "Andel Tvého Casu" verbirgt sich also ein bekannter alter Running Wild-Klassiker - um dem Leser nicht den ganzen Entdeckerreiz zu rauben, sei an dieser Stelle nicht verraten, welcher es ist, aber das Einspieljahr 1988 der Direct-Version läßt aus simplen chronologischen Erwägungen her schon mal nur die ersten drei Rock'n'Rolf-Alben als Quelle zu. Der Refrain ist von der Melodiehaltefähigkeit her etwas gewöhnungsbedürftig ausgefallen, aber das kann man durch verstärktes Mitsingen vor der heimischen Anlage ja zu kompensieren versuchen, sofern man es schafft, halbwegs unfallfrei tschechisch zu pronouncieren. Wer sich vorstellen könnte, solcherart Stoff zu mögen (und der generelle Unterhaltungswert ist für den Freund altertümlichen Metals unbestreitbar), maile an Rainer Krukenberg unter krukenberg@freenet.de und frage, ob er noch ein Exemplar auf Lager hat.

Tracklist:
Spartakus
Bez Penez
Nukleární Zkáza
Bes (Delirium Tremens)
Tak Jen Si Béz!
Direct (Instrumental)
Ranní Funus
Bál Mrtvých
Zelezná Panna
Andel Tvého Casu
Svatbu Ne!



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