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GANES: Parores & Neores
von rls
(Capriola)
Nach dem hoffnungslos überproduzierten Zweitling "Mai Guai", der mit den nach wie vor beeindruckenden Liveauftritten in einem seltsamen Reziprokverhältnis stand, war die Spannung groß, wie das dritte Ganes-Studioalbum ausfallen würde. Der Produzentenwechsel zu Guy Sternberg ließ ja erstmal noch alle Möglichkeiten von Verbesserung bis Verschlimmbesserung offen, die beiden Liveeindrücke in der zweiten Jahreshälfte 2012 (19.8. zum Stadtfest in Dresden, wo der Rezensent leider nur den hinteren Teil des Gigs miterlebte, und 6.11. in den Katakomben der Moritzbastei Leipzig) aber ließen durchaus Großes erwarten. Ganz einlösen kann "Parores & Neores" die mit den Konzerten geweckten Erwartungen letztlich nicht, aber zumindest die Richtung stimmt erstmal wieder, und das gleich in mehreren Komponenten:
Zum ersten ist der "Überproduziert"-Eindruck verschwunden; die 12 neuen Songs hinterlassen einen deutlich homogeneren Eindruck, was Instrumentierungen und Arrangements angeht. Das geht keineswegs mit einer "Entschlackung" einher, wie mancher vielleicht mutmaßen könnte - im Gegenteil: Die kammermusikalischen Möglichkeiten, die sich Ganes etwa durch die violinistischen Kenntnisse der Schuen-Schwestern bieten, werden natürlich auch genutzt und hier und da durchaus auch erweitert, wenn man etwa noch den Bratscher Robin Hong und die Cellistin Susanne Paul hinzuzieht und damit eine klassische Streichquartettbesetzung zusammen hat. Und da ist dann auch wirklich zusammengewachsen, was zusammengehört - die organische Einbindung ins Material funktioniert diesmal problemlos, was auch für diverse Effekte wie beispielsweise die Straßenatmosphäre in "Demassa" zutrifft.
Was weiterhin auffällt, ist die Tatsache, daß Ganes stärker als Trio auftreten und die klassische Gesangsaufteilung (eine singt Leads, die anderen beiden Backings) ein wenig nach hinten gestellt haben. Natürlich kommt sie, da die logische Wahl in der gegebenen Besetzung, immer noch am häufigsten vor, aber zwei- oder dreistimmige Chorpassagen mit gleichrangiger Stimmwertigkeit treten deutlich häufiger auf als früher. Freilich wird nicht diese kleine Verlagerung der Grund gewesen sein, daß das Material auf "Parores & Neores" wieder etwas eingängiger ausfällt als das vor allem refrainmelodieseitig oft kaum überzeugende des Vorgängers. Man nehme nur mal den Opener "For Eva" her: Hier bleibt der Quasi-Refrain trotz seiner alles andere als innovativen oder originellen Struktur problemlos im Ohr hängen und eignet sich zugleich auch als Unterscheidungskriterium gegenüber anderen Songs ähnlicher Bauart.
Apropos Bauart: Die Liveversionen ließen vermuten, daß Ganes diesmal ein paar alte Pink-Floyd-Platten konsumiert und ein paar Einflüsse übernommen hätten. Dieser Eindruck schwächt sich anhand der Studioversionen etwas ab, aber statt dessen tritt die Sechziger-Psychedelik etwas stärker in den Vordergrund. Daß Keyboarder Martin Wenk (der in den Besetzungslisten überall nur als M.W. auftaucht) bevorzugt Hammond, Rhodes und andere historische Exemplare zum Klingen bringt, paßt da nicht nur bestens ins Bild, sondern stellt zudem einen integralen Bestandteil ebenjenes Bildes dar. Was Ganes aber vielleicht von Pink Floyd gelernt haben, ist die Kunst der Entschleunigung, und zwar nicht nur auf einzelne Songs bezogen (das konnten sie ja mit "Dorm Sauri" schon ganz ausgezeichnet), sondern auf ein gesamtes Albumkonzept. Mit dem folkigen "La La La" taucht an Position 7 genau zum rechten Zeitpunkt der erste Feger seit dem flockigen Opener "For Eva" auf, aber "Corù" hat an sechster Position schon bewiesen, wie Ganes auch innerhalb einer Ballade einen großen Dynamik- und Spannungsbogen in Szene setzen können. Und wenn auf "Imbranada", das schon in sich mit seinem Dynamikwechsel hin zu mehr Power überzeugt, noch das dunkelromantische "Dlungia Me" folgt, das so typisch von Elisabeth Schuen stammt, wie nur irgendeine Komposition typisch von ihr stammen kann, sollte niemand mehr den Eindruck von Monotonie im Hinterkopf haben, der bei oberflächlichem Hören durchaus aufkommen kann. Aber für solches sind Ganes-Alben halt nicht gemacht, ein Loungepop-lastiges Album wie "Parores & Neores" schon gar nicht. Zu entdecken gibt es da nämlich viel, sei es im praktischen Instrumentenlexikon (Aufgabe: Finde Maria Molings Darabuka in "A Té"!) oder in Gestalt der ersten deutschsprachigen Zeilen der sonst nach wie vor in ihrem heimatlichen Idiom Ladinisch textenden Damen, wobei "All I Wanna Do" auch noch die englischen Titelzeilen und französische Passagen enthält (und einen interessanten Unterschied der gesungenen deutschen Fassung zur im Booklet abgedruckten - aber den soll die Hörerschaft mal schön selber rausfinden).
Mit der Sprachvielfalt geht es dann auf der 32minütigen Bonus-CD des Digipacks gleich weiter. Mit "Much Too Much" gibt es da nämlich einen englischsprachigen Outtake der "P&N"-Sessions mit Guy Sternberg und dazu gleich vier Radio Edits bzw. Alternativfassungen, die Wolfgang Stach produziert hat. Interessanterweise hat der nicht einfach die Sternberg-Fassungen hergenommen und nur zusammengeschnitten bzw. neue englische Gesangsspuren darübergelegt (auf diese Weise war nämlich "Much Too Much" entstanden, das auf CD 1 mit ladinischem Text "Demassa" heißt), sondern die Songs sind in seinem Kölner Studio von einer bis auf die drei Chefinnen komplett veränderten Besetzung neu eingespielt worden. Und kurioserweise ist "La La La" als Radio Edit länger als die reguläre Albumversion auf CD 1, könnte man vermuten, wenn man die Spielzeiten auf der Rückseite des Digipacks liest - der CD-Player outet die 5:08 des Radio Edits allerdings als Druckfehler ... Selbiger Song, der mit seinen flotten Offbeats noch mehr Laune macht als die Originalfassung, hat seine ladinischen Lyrics übrigens behalten, während die anderen drei anglisiert wurden. Den Beginn von CD 2 markieren allerdings drei andere Songs, live im Studio von Kilian Reischl eingespielt (und enorm transparent und keineswegs überproduziert!). "Vivre" stellt dabei eine französischsprachige Fassung von "Vire" dar, die sich exzellent ins Gesamtbild einfügt, während "Nia L'dėrt" vom Debütalbum "Rai De Sorėdl", das im Soloteil plötzlich lossprintet und mit der Solovioline fast in Zigeunerjazzklänge abdriftet, in Ladinisch verbleibt und mit "Parole Parole" mal wieder eine Coverversion an Bord ist, diesmal eine in Italienisch (Italopopkenner dürften den Komponisten Gianni Ferrio und die Texter Leo Chiosso und Giancarlo Del Re zuordnen können, der Rezensent kann es nicht). Zum Schluß kommt noch ein Remix von "Bun Chaka Le", und man muß nicht erschrecken, wenn man liest, daß er von DJ Alex Trebo angefertigt wurde, denn der hat sich angenehmerweise verkniffen, einen Dancefloorfeger erschaffen zu wollen. Trotzdem wäre wohl auch kaum jemand böse über die Abwesenheit des Songs in dieser Form, die die normale Ganes-Klangvielfalt in tanzbare Monotonie wandelt, gewesen - "Parores & Neores" läßt stärker als seine beiden Vorgängeralben erahnen, welche Reize das Material der drei Ladinerinnen auch in Konservenform zu entwickeln vermag. Um das bewährte Abschlußbild mal wieder aufzugreifen: Diesmal eignet sich die Blumenwiese auf der Fanesalm unweit der Limojochstraße nur dann als gemeinsames Lager mit Elisabeth Schuen, wenn dort größere Mengen psychedelisch duftender Narcissus poeticus wachsen ...
Kontakt: www.ganes-music.com, www.blankomusik.de
Tracklist:
CD 1:
For Eva
Vita
Paóm
Demassa
Fortüna
Corù
La La La
Giré L'Cor
Imbranada
Dlungia Me
A Té
All I Wanna Do
CD 2:
Parole Parole
Vivre
Nia L'dėrt
Much Too Much
La La La (Radio Edit)
Dizzy
4 Eva
For You
Bun Chaka Le (Remix)
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