von gl
Die Gepflogenheit, Bands nach einem möglichst weit entfernten Ort zu benennen, wird in der Rock-Musik seit langer Zeit praktiziert: Bands namens Asia und Japan kommen aus England, China aus der Schweiz, die Gruppe Texas aus Schottland und zwei Formationen aus Dänemark und Italien nannten sich vor lauter Fernweh gleich Los Angeles bzw. L.A.! Dort hingegen wählten Acts im Gegenzug die Namen London, Holland oder Belgium für ihre Bands ... (Nicht zu vergessen Dresden, eine reichlich obskure US-Thrashband - Anm. rls) In dieser Tradition steht auch ein schwedisches Duo, welches den Namen der texanischen Stadt ausgesucht hat und aus dem Nichts heraus mit einem nahezu perfekten AOR-Album überrascht. Und wenn nicht im britischen Fireworks Magazin letzten Winter schon 'ne Anzeige gewesen wäre, wüsste ich nicht einmal, wie das Cover aussieht. Denn es liegt nur eine schnöde Promo-CD vor und kaum Informationen. Also wie früher ohne viel Brimborium: Let the music do the talking. Und hier überraschen die beiden Herren namens Freddie Allen und Hampus Hank Erix (es ist unklar, wer was macht) und ihre ungenannten Mitmusiker mit Ohrenschmeichlern allererster Güte in der Tradition amerikanischer Bands des softeren Spektrums der Rockmusik aus den glorreichen Achtzigern. Das ist schon faszinierend, wenn Nobodies mit der Hilfe von Tausendsassa Tommy Denander aus dem Stegreif gleich mit ihrem ersten Lebenszeichen solch ein durchgängig erstklassiges Werk vorlegen. Sonst hätte ich vermutete, hier seien der Keyboarder von Aviator und die Kehr-Brüder von der Band Urgent (verkanntes Juwel: deren Album "Thinking Out Loud" von 1987) gekidnappt worden und von jenen unveröffentlichte Songs geklaut worden, denn dieses Material schimmert hier mehrfach durch. Um was Bekannteres zu nennen, ja, es sind Versatzstücke von Foreigner, Journey und Styx rauszuhören, an die die positive, mitunter friedvolle Musik ("Now") erinnert, vielleicht ein klein wenig Boston. Aber Houston klauen nie plump, sondern schaffen es in der Tat, die Frische und damalige Unbekümmertheit dieser Acts ins Hier und Jetzt zu transferieren und zu belegen, daß dieses Genre keineswegs den Dinosauriern zur Renaissance überlassen bleibt (mancher sagt ggf. auch: zum Nochmal-Abkassieren ...), sondern daß es junge Künstler gibt, die genau solche Mucke machen wollen und parat stehen in der 3. Reihe und schon auf dem Sprung sind in die 2. Das Potential dazu haben sie gleich mit ihrem Erstling bewiesen: Wenn ich das Stück "1000 Songs" abziehe, kann wirklich jeder (!) Song incl. der zwei neuen für diese Version addierten Bonus-Tracks einzeln angesteuert und genossen werden, mit "She's A Mystery", "Pride" und "Give Me Back My Heart" hat man gleich mehrere Asse im Ärmel, die jeder Liebhaber melodischer Rockmusik auf seine private Heavy Rotation setzen kann. Mit "Truth Slips" ist der jungen Formation aber ein grandioser Kracher gelungen mit perfektem Songaufbau, abwechselnd männlich/weiblichem Gesang und einfach sensationellen Chören - hier stimmt jeder Ton. So daß dem Mutterlabel empfohlen werden kann, ein wenig Kohle in die Band zu investieren, um sie nicht nur im Spartenbereich, sondern auch im Mainstream zu pushen. Allein dieser Song nur ein paar Mal bei RPR, SWR, Radio Regenbogen usw. oder wegen mir als Commercial irgendwo gespielt und selbst heute würden Hörer anrufen und fragen, wie denn die Band mit diesem tollen Song heißt ... Aber kein Klagegesang jetzt, das hatten wir schon mehrfach bei ähnlich talentierten Acts (Steelhouse Lane, Pride Of Lions ...), die nicht aus dem Undergrund-Status ausbrechen konnten. Ob die Zeichen heuer besser stehen, ist ungewiss, eher nicht. Für den Moment bleibt festzustellen, daß "Houston" im UK, wo sie bereits im Dezember erschien, vom Classic Rock Magazin 2010 als "AOR Album Of The Year" bezeichnet wurde. Zumindest als Anwärter auf diesen imaginären Thron in unserem Territorium dürfte sie für 2011 gelten.
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