www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (06.03.2005)

Der Polizeichef konnte nicht wissen, daß sein Bemühen sinnlos war: Das Kind war tot. Der junge Mann, Student und kirchlich engagiert, hatte den Millionärssohn ermordet und spielte die Entführung nur vor. Der Fall des Jakob von Metzler erregte Deutschland mehrmals. Adrienne Lochte hat sorgfältig recherchiert, behutsam gefragt, Psychologie und Hintergründe aufgedeckt. Entstanden ist ein erschütternder Bericht über Unbegreifbares, Menschen aus unserer Mitte und die Frage: Darf ein Staat Gewalt androhen? "Sie werden dich nicht finden" (Droemer).

Jeu, auf dem Kahn geht die Post ab. Gewaltig. Dave Barry versammelt eine dermaßen schräge Klientel von Schmugglern, Spielern, blöden Tussen, daß "Tricky Business" (Eichborn/Lido) im Slapstick enden muß. "Atomreaktor des Verrückten", verlauteten Fans des Romans. Dirk Bach leiht dem Geschehen sehr wandelbar seine Stimme. Ein Spaß, bei dem die Winterdepression verfliegt und Vorfreude auf den Sommer macht. Ehrlich: "Manche mögens heiß". Ich auch.

"Europa mordet" (Ullstein) könnte politisch angemeßner lauten "Europa läßt morden". Jedenfalls versammeln sich eine stattliche Anzahl Schriftsteller und berichten immer wieder über einen literarischen Preis, dessen Verleihung tödlich endet. Neben gut bekannten Ländern und Autoren sind die wirklichen Entdeckungen jenseits altbekannter Grenzen und Personage zu finden. Das macht Hoffnung, und Deutschland beweist, echte Innovation ist nicht. Gut, daß die andern in Europa existieren.

Gigantomanische Projekte sind nicht nur Leipzig eigen. Die Weltausstellung 1896 wurde Chicago angetragen. Ein visionärer Architekt kämpft um neue Dimensionen. David H. Burnham hat mit seinen Plänen Richtungsweisendes geschaffen. Aber auch andere versuchen, aus dem Projekt Vorteil zu schlagen. H.H. Holmes nutzt Chaos und Vertrauen und tötet serienweise. Es dauert Jahre, bis er überführt werden kann. Es dauert Jahre, bis die Weltausstellung fertiggestellt ist. Erik Larson schrieb eine einzigartige, verblüffende Dokumentation. "Der Teufel von Chicago" (Scherz) beweist, daß aktenkundige Geschichte nicht trocken daher kommen muß. Der Genuß liegt in wirklicher Person und wahrem Detail und nicht in bombastisch falschem (Kino)Schwulst.

Auch Italien kannte dunkle Zeiten. Carlo Lucarelli ist Autor, der dieses Kapitel aus heutiger Zeit literarisch belichtet. Schon dieses ist aller Achtung wert, wertvoller noch, daß Lucarelli Geschichten erzählt, die scheinbar profan literarisch höchste Qualität bieten. "Die schwarze Insel" (Piper) ist faschistisches Domizil, und dem Helden wird erschreckend klar: Die Parallelgesellschaft ist so parallel, daß sie der staatlichen Führung nicht mehr bedarf. Ein Mann macht die Gesetze selbst und setzt sie durch. Das erinnert wahrlich an große Vorbilder von Defoe bis Golding und hat doch beeindruckend eigenes Flair.

Manches wird Legende. So auch Berlin Anfang der Dreißger: Lebenslust und Börsencrash, leichte Damen, Künstler, Kneipen, KPD und braune Hemden. Christopher Isherwood hat sämtliche Möglichkeiten genutzt und genossen. Erst knapp vor Hitlers Machtergreifung verläßt er die deutsche Metropole. Freundin Sally Bowles singt weiter im "Cabaret". Der Film ist Kult, zu recht, das Buch scharfsichtig, witzig und persönlich. Neben all der uns umflutenden fadenscheinigen Erinnerungen schreibt Isherwood Literatur, und diese ist des Lesens wert: "Leb wohl, Berlin" (Ullstein).

In Rußlands Seele schlägt viel Herz, und ich bedaure, daß die literarischen (vor allem filmischen) Entdeckungen des Ostens weniger und weniger werden. So erfreut es, daß Adrian Wanner "Miniaturwelten" (Pano) gefunden hat. Das sind Kürzest-Prosa-Texte von Wsewolod Garschin bis Aleksander Blok. Sie sind Kabinettstückchen der Literatur, noch schöner dran ist, Sprachkenner können die Übersetzung mit dem originalen Wortlaut vergleichen. Nicht ganz so kurz sind die Geschichten Ljudmilla Ulitzkajas. Sie lotet tief in Psyche und Gefühl und Gegenwart und zeigt den gnadenlosen Kampf ums beschissne Stückchen eignes Glück. "Sonetschka" (BLT) läßt bitten und lesen.

Wenige, aber von manchem Buch muß man gelesen haben. "Die Edda" (Diederichs) ist sagenumwoben und der Germanen Götterdichtung. "Lobe abends den Tag / nach dem Tode die Frau / nach dem Hiebe das Schwert / nach der Hochzeit die Maid", so leicht eingänglich sind die wenigsten der Lieder. Vor allem Musikanten düstrer Klänge berufen sich im Text zur Melodie auf diese nordischen Helden der Vergangenheit. Bevor ihr mitsingt: Lesen! Auch viele andere waren von der "Edda" fasziniert. Ambivalent die Deutungen und Interpretationen. Gebt euch die eigene.

Menschen, Fakten, Kriegsgeschehen - "Der erste Weltkrieg" (Gerstenberg) ist Geschichte, und wir stellten zum Jubiläum grausend fest, dieser Krieg ist unserer Erinnerung entwichen. Also recherchierten Autoren und Verlage und förderten viel Unbekanntes, Schreckliches und kleine Hoffnungen zu Tage. H.P. Willmott ist Militärhistoriker und stellt uns das Geschehen 14/18 in seiner Gesamtheit vor. Weniger Text und Fakten, die vielen Fotos machen Eindruck. Sie zeigen Menschen, Menschen am Abgrund, in den sie von Menschen gestellt wurden. Es mußte halt sein, dieser Krieg. Jeder Krieg. Pervers. Stets wieder pervers und unbegreifbar.

TIP: Die Damen sezieren
"Die Frage, ob ihre Romane und Erzählungen der höheren Literatur oder nur der spannenden Unterhaltung zugerechnet werden müssen, stößt bei den Lesern auf Heiterkeit. Leidenschaftlich diskutieren diese nur die Frage, welches ihrer Bücher denn als das beste gelten darf." Stets wieder stoßen Kritiker auf dieses Phänomen: Viele Leser, trotz der Ignoranz des Feuilletons. Aber wenn diese Frage gestellt werden muß, hat sie sich längst beantwortet. "Millionen lassen sich täglich von Berichten über Verbrechen und von Kriminalgeschichten faszinieren. Sie gehen frommen Sinnes in Filme, deren zwei Hauptthemen Verbrechen und Leidenschaft sind. Dieses Interesse und diese Faszination sind nicht nur Ausdruck von schlechtem Geschmack und Sensationsbedürfnis, sondern es spricht daraus ein tiefes Verlangen nach einer Dramatisierung der letzten Dinge im Menschenleben., nämlich von Leben und Tod, von Verbrechen und Strafe, vom Kampf zwischen Mensch und Natur." Wir lesen. Wir lesen: Kriminalromane.
Patricia Highsmith' Todestag jährt sich im Februar zum zehnten. Heute diskutiert kaum einer, ob ihre Art der Literatur ernst zu nehmen sei oder nicht. Doch jahrzehntelang wurden der Highsmith Romane und Erzählungen (Gesamtausgabe bei Diogenes) in die Schublade "Thriller" gesteckt und damit abgehakt. Dabei hatte Alfred Hitchcock bereits den ersten Highsmith-Thriller "Zwei Fremde im Zug" verfilmt, Raymond Chandler schrieb das Drehbuch. "Der talentierte Mr. Ripley" ist mittlerweile Synonym für den "menschlichen Killer", selbst brutalste Morde verzeiht man diesem Töter, weil man ihn verstehen kann. "Wenn man Kriminalromane verfaßt, muß man schließlich darüber im Bilde sein, was im Kopf des Verbrechers vor sich geht, denn den Verbrecher kennt man gewöhnlicherweise das ganze Buch hindurch, also muß der Autor beschreiben, wie es in seinem Kopf aussieht." Das waren anno 1950 neue Töne auf dem Gebiet des Gebiet des Genres, das Leser und Kritik bislang mit dem "old england crime" eines Edgar Wallace oder einer Agatha Christie verbanden, andere mit der "hard boiled school" von Dashiell Hammett. Die irrationalen Geschichten der Highsmith paßten nicht ins Schema. Heute liest man ihre Bücher als das, was sie sind: Psychogramme des alltäglichen Wahnsinns, die subtile Beschreibung der Irrationalität unserer Gegenwart. Besorgt befragt sich der Leser, könnte ich wie Highsmith' Helden handeln? Die Antwort erschüttert: Ja!
Auch Ruth Rendell hat im Monat Jubiläum: Sie wird 75. Herzlichen Glückwunsch! Die Rendell seziert mit ähnlich spitzem Messer die Abgründe im Menschen (bei Goldmann/Blanvalet und als Barbara Vine bei Diogenes), und auch ihre Romane sind eher Gesellschaftsanalysen denn Kriminalroman. "König Salomons Teppich" schildert Leben ausweglos im U-Bahn-Labyrinth von London. "Der schwarze Falter" zeigt Deformationen verleugneter Gefühle. "Die Brautjungfer" (grad im Kino) fasziniert und geht für Liebe über Leichen. "Königliche Krankheit" erzählt von Ehrgeiz und Mord aus medizinischen Motiven. Unvorstellbar? Eben nicht! Und deshalb kann man sich diesen Geschichten nicht entziehen. Deshalb liest man nächtelang. Deshalb die Frage: Könnt' ich's auch?
Es ist oft darüber diskutiert worden, ob Frauen anders Kriminalromane schreiben als ihre männlichen Kollegen. Der Handel scheint es zu beweisen. Val McDermid führt menschlich in die Klippen Schottlands und läßt mit "Methode Hill" ermitteln (Droemer / Knaur / Argument). "Das Echo einer Winternacht" führt ein Vierteljahrhundert später zum Tode, und beschreibt sehr subtil, wie Verletzungen der Jugend weiter wirken. Auch aus deutschen Landen empfehlen wir: Doris Gercke und ihr alter ego Bella Block. Jetzt im Taschenbuch sagt "Bella ciao" (Ullstein) und muß ihr Leben ändern. Thea Dorn seziert die Liebe einer Erfolgreichen bis hin zum Kinderwunsch im Detail. Dann passiert der "Brut" (Manhattan) Unfaßbares. Doch Mütter wissen sich zu helfen. Weniger kompositorische und stilistische Gewandtheit ist nachzulesen bei Petra Hammersfahr (Rowohlt) und Monika Geier (Argument), was die Unterhaltung kaum schmälert. Es steht zu erwarten, daß auch weiterhin Damen literarisch genau ihr Messer dorthin setzen werden, wo es schmerzt. Denn daß Kriminalliteratur gesellschaftliche Wirklichkeit beschreibt, wie es selten hochgelobte Gegenwartsautoren vermögen, ist bewiesen. "Ich tue Kunst da, wo sie niemand vermutet. Ich schreibe Kriminalromane", sagte Friedrich Dürrenmatt. Wir haben verstanden.

Kleiner TIP: Der Rucksack Herz
"Nein, er konnte nicht mehr glauben, daß die Welt ein Märchen sei." Wahrlich: Der Alltag ist nicht immer erträglich. "Es gibt sie, diese seltsamen Morgen. Man wacht auf und hat das untrügliche Gefühl, daß das schon ein Fehler war." Und doch hat man Hoffnung. Und doch hat man Träume. André Ziegenmeyer schreibt darüber. Manchmal trägt er sie uns vor (zB im "Durstigen Pegasus"). Jetzt können wir im Buche lesen. In gewisser Weise ist die Sammlung "ein emotionales Tagebuch" und zeigt uns viel von seinem Autoren. Der ist jung, der ist aus Leipzig, und er verleugnet weder Sehnsucht noch Romantik. "Visionen eines Tagediebs" (Ubooks) sind Gedichte, Geschichten und Träume, denn "es gibt nichts wichtigeres als Träume". Die Sammlung entführt und erinnert: Eichendorff, Novalis, Tieck. Ehrlich und sprachgewandt beschreibt der Autor "Kleinigkeiten". Da ist einer, der sich nicht erdrücken läßt und die "Magie" im Alltag schafft und sieht. Gut, daß André uns daran mitlesen läßt. Gut auch, daß er weiter schreibt. Schön, wenn wir nächstens von ihm mehr noch sehen, hören, lesen.

In Dresden wird diskutiert. 60 Jahre nach der Zerstörung wird mancher Seite provoziert (und damit meine ich nicht die Peinlichkeiten im Landtag). Frederick Taylor wagt Thesen, die unserem Empfinden widersprechen. Konnte die Auslöschung Zehntausender unter militärischen Gesichtspunkten legitimes Kriegsziel sein? Für die Opfer keine Frage. Doch Dresdner Opfer folgten anderen Kriegstoten in Europa nach. Zum Buch muß man Haltung beziehen. Das muß man angesichts derzeitiger Beliebigkeit und festgefügter Meinung nicht sehr oft. "Dresden. Dienstag, 13. Februar 1945" (Bertelsmann) sollte nicht nur in Dresden Thema sein.

"Orasüpbla" (Engelsdorfer Verlag) verheißt das "Orangensüppchen blau". Dies ist eine Sammlung kleiner Texte, die im Literaturkurs "Schreibformat C" entstanden. Sie geben Querschnitt über alltägliche Gefühle, Hoffnungen und Träume. Manch einer zieht in Zukunft und beruft sich humorvoll leserlich auf Ion Tichy. Das gefällt, anderes nicht, alles aber beweist: Vor Literatur und selber schreiben muß man sich nicht im Zimmerchen verstecken. Manches erlangt sogar den Ladentisch. Der Thalia Buchhandlung in Chemnitz sei gedankt, dass sie nicht nur der Bücher im Bestsellerformat gedenkt, gar selber Talente unterstützt.

Zeitzeugen schreiben Bücher. Zum einen um es sich von der Seele zu reden. Zum anderen, um zu erinnern. So geht das. Kurt Vonnegut überlebte den Feuersturm anno 45 in Dresden im "Schlachthof 5" (Audioverlag). Sein Buch nimmt Vergangenheit zum Anlaß in den Zeiten zu reisen und auf andere Planeten. Der Roman ist voll Phantasie, Greuel und Witz. Roman und Autor sind Kult. Jan Josef Liefers ist Dresdener und heute Star. Er liest Vonnegut pointiert, und eigentlich möchte' man weiter noch hören, hören, lesen ... So geht das.

Sachsens Killerladies

Sie heißt Blanca Büchner. Sie schreibt Krimis. Allesamt Bestseller. Ihre Lesungen sind übervoll. Funk und Fernsehen haben angefragt. Und dann trifft es die Autorin selbst. Sie soll nach ihrem eignen Werk gemeuchelt werden: Giftspinnen auf dem Armaturenbrett. Geisterstimmen in Ruinen. Nächtlicher Besuch. Doch erstmal muß Blancas beste Freundin dran glauben. Sie traf ein Gerippe, sie hatte ein sehr schwaches Herz. Exitus natürlich. Jedenfalls beinah. Danach fährt sich der Ermordeten Gatte ungebremst in den Tod. Und Blanca glaubt keiner, man weiß ja, sie kann gute Geschichten erzählen. Sie hat Phantasie. Ihre Bücher stehen auf Bestsellerlisten.
Klingt nach Agatha Christie und der old England School of Crime. Mitnichten. Diese Story spielt in Klingenthal / Vogtland. Maren Schwarz schickt ihr alter ego Blanca Büchner schon zum zweiten Mal in eine Mordgeschichte. Das "Dämonenspiel" (Gmeiner) überbordet schier an skurrilen Tötungsarten und unerwarteten Täterprofilen. Ja, die Autorin hat ihre Vorbilder gut studiert und gibt unserem würdigen Sachsen endlich die Morde, die es verdient. Denn sagen wir's ehrlich, der Freistaat ist in Sachen Krimi noch nicht einmal Entwicklungsland. Zumindest seit es Karl May nicht mehr gibt. Die "Agatha des Ostens" Tom Wittgen (Pseudonym) ihr Schreiben einstellte. Hans Pfeiffer - ja der mit den Spuren, Spielen und der "Sprache der Toten" (Militzke) - verstarb. Denn auch die Auflehnungsversuche gegen Sachsens leisen Krimitod scheiterten kläglich. "Leipzig Crime" (edition monade) brachte es auf vier gedruckte Werke. Der "Dresden Krimi" (Scheune) nur auf drei. Autoren flohen das Sachsenland wie Frank Goyke, verstummten wie Harald Gerlach oder wechselten in andere Sujets wie Holger Oertel und hinterließen uns eine Brache. Nun schicken sich Damen an, das Feld neu zu bestellen. Wir haben das Krimi-Lese-Vergnügen.
Unsere liebliche Residenz ist bei Beate Baum bereits zum zweiten Male kriminelle Kulisse. Ihre "Dresdner Geschäfte" (AtV) führen Journalistin Kirsten Bertram diesmal in den Mini-Markt, ins Altenheim und illegal in Lagerhallen. Die unnatürlich Toten erscheinen vergleichsweise nebenbei auf der Bildfläche. Obwohl, die Heldin trifft es hart. Denn ihr abgelegter Lover begeht aus Liebesgründen Selbstmord. Ist nicht so. Logo. Er ist auch nicht tot. Dafür gerät Kirsten samt neuem Lover in den Dschungel unlauterer Handels- und Lebensbeziehungen. Das liest sich vergnüglich, und die Autorin hat in der Strickschule guter Krimis wohl gelernt, nicht abgeschrieben. Denn neben dem Fall sieht man Dresden und hinter barockem Putz wirkliches Leben. Na gut, Leben wie im Kriminalroman. Mehr dazu ganz unten.
Auch Zwicke wird Tatort und zwar ganz gewaltig. Wolfram Kippling trinkt Prosecco und steht auf kleine tote Mädchen. Gut, daß er Lehrer ist, da laufen ihm die jungen Dinger quasi direkt vor die Flinte. Die gemeuchelte Dirn zerteilt der Wolf fein säuberlich und hinterlegt das Fleisch im Gefrierbeutel in der Umgegend. Ups, ein Liebespärchen rutscht drauf aus. Bevor die Polizei ermittelt, ermitteln Doreen und Norbert, ihres Zeichens Zwickaus private Detektive. Nach 420 Seiten vergißt der Mörder die jungen Dinger und schmeißt dem Norbert einen Fön in die Wanne. Das Krimi-Team vom Gmeiner-Verlag meint: "Claudia Puhlfürst zeichnet gekonnt das beängstigende Bild eines narzistischen Mörders". Meine ich nicht. Hier hätte strenges Lektorat dringend Not getan, um an Tatmotiven und -begründung, an Überlängen und Wiederholungen zu arbeiten. Mir treibt Claudias "Leichenstarre" kein Leben ein. Vielleicht aber die nächste.
Sachsen wie es lebt und mordet. Wir haben lange auf solch Lektüre verzichten müssen. Endlich sind sie da, die heimatlichen Kriminalromane. Sie bringen erfrischend neues Kolorit in unsere literarischen Breiten. Gut, nicht alles ist diesen Büchern gelungen. Manch Tathergang wirkt ausgedacht. Manch Tatmotiv weit hergeholt. Die Autorinnen schreiben weiter, hoffe ich, und stehen am Anfang ihrer Sektionen. Das Lesevergnügen überwiegt bei Weitem. Gut so. Endlich wird Sachsens Brache kriminell beackert. Das lese ich gern. Doch bleibt mir die Frage: Warum morden bislang nur die Damen? Männer, habt ihr nichts zu töten? Nichts zu sagen?

Jubeljahre gibt es heuer nicht nur bei Schillern. Vor 200 Jahren ward Hans Christian Andersen geboren. Anlaß für den dänischen Prinzen, Andersen-Botschafter zu berufen. Anlaß für Verlage, den Autoren wieder zu entdecken. Es gibt nicht nur märchenhaftes seiner Hand. Doch die Märchen kennt jeder: Kleine Meerjungfrau und Kaisers neue Kleider, Däumelinchen, Zinnsoldat und wilde Schwäne. Wir können uns nicht satt dran lesen. Unter den Neuauflagen ist "Das große Märchenbuch" (Sauerländer) das Schmuckstück. Polygrafisch fein gesetzt. Wundervoll von Joel Stewart illustriert. Beschenkt euch damit selber und die Kinder.

Bernd-Lutz Lange gereicht Leipzig zu Ehren und ist witziger Zeitgenosse. Seine sächsischen Lieblingswitze hat er uns jetzt aufgeschrieben: "Teekessel und Othello" (Hohenheim). Nu guddi. "Sie entschuldigen, wohnt hier im Haus ein gewisser Vogel? - Ja, in dorr zweedn Ädasche, Rabe heeßdr." Die wahren Schenkelklopfer bleiben aus. Manch Episode ist wirklich zum Schreien, kaum komisch. Wir wissen, die Sachsen sind helle, aber etwas beduhlich, und daß über sie gelacht wird, sind die Guhdn geweent. Sie lachen gern selber. Auch über sich.

"Totgesagte leben länger", meinte ... richtig, unser Erich. Und so erscheinen sie wieder die Bücher der Marke "Spannend erzählt". Auch der Name des Verlages stimmt: Neues Leben. Jules Verne und der "Lederstrumpf". Die "Republik der Strolche" und "Ede und Unku". Letzteres ein Klassiker nicht nur im Schulunterricht. Für Alex Weddings literarische Helden standen lebende Personen Portrait. Die Handlung zeigt Berlin. Rassendiskriminierung - Unku ist Zigeunerin. Klassenkämpfe. Arbeitslosigkeit. Wirklich: Es ist das Berlin der "goldenen Zwanziger", gut 80 Jahre her und nicht nostalgisch. So waren, sind die Zeiten. Für mich bleibt der Roman ob seiner Qualitäten: Pflichtlektüre.

"We'll say yes, yes, yes, yes, yes. We'll say da, da, da, da, da", sang ... richtig, unser Dean Reed, "Der Rote Elvis" (Kiepenheuer). Irgendwie hatte ihn Sympathie und Liebe in die einzige DDR verschlagen. Der Sänger blieb und ward geliebt und Star. "Sing, Cowboy, sing", "Kitsch & Co." - wir haben ihn niemals vergessen. Auch nicht seinen mysteriösen Tod. Stefan Ernsting hat die kuriose Biografie recherchiert, gut leserlich aufgeschrieben und mit einem faktenreichen Anhang versehen. Ein Stoff, aus dem die Filme sind. Und Hollywood hat angefragt. We'll say yes, yes, yes, yes, yes.

Manche sehen ja schwarz. Ganz schwarz. Während seine Kollegen Hammett und Chandler ins Licht der Leser gerieten, blieb es um Cornell Woolrich bis heute recht dunkel. Dabei ist der Autor Klassiker. Nicht nur "Das Fenster zum Hof" wurde verfilmt. Auch sein "Walzer in die Dunkelheit" (Diogenes). Den tanzt ein erfolgreicher Unternehmer mit einer Unbekannten. Man möchte rufen, halt ein, doch der Held muß seinen Leidenschaften folgen. Und seien sie tödlich. Die Lektüre fesselt. Der Autor sei wärmstens empfohlen.

Dickie Dick Dickens heißt Amerikas prominentester Gesetzesbrecher. Rolf und Alexandra Becker schufen eine der witzigsten Krimiparodien. Die Hörspiele wurden Legende, eine Nation lauschte. Gut, daß sie wiederentdeckt wird. Ein Hörgenuß. Fast schwerelos die Inszenierung. Carl-Heinz Schroth die Stimme. Diesmal ist "Dickie Dick Dickens der Revolutionsheld" (hörverlag) und wird Präsident in Lateinamerika, aber das ist nicht alles, es folgen seine Hinrichtung, Sprengung, ... Hören!

Dresdner Krimikost

Kirsten Bertram hat in Elbflorenz Wohnstatt und Arbeit gefunden. Ist ja auch ein liebliches Pflaster und hat Atmosphäre: Frauenkirche. Zwinger. Oper. Blaues Wunder. Die Journalistin hat die Sicherheiten eines festen Jobs gekündigt und versucht sich von nun an frei. Doch bevor ihr erster Auftrag auf den Tisch liegt, liegt ihr Ex im Koma. Klarer Fall von Selbstmord meint die Polizei: Überdosis Luminaletten. Kirsten ist sich ihrer Schuld bewusst. Sie hatte Dale ihrer Liebe zu Andreas wegen verlassen. Doch bevor Selbstvorwürfe und Depressionen über ihr zusammenschlagen, fällt Kirsten Verdächtiges ins Auge. Lieferscheine an Billigmärkte. Daten von Raub. Und ein Telefongespräch führt sie ins Altenheim. Dort wieder ein Selbstmord, und keiner aus Alterseinsamkeit. Die Polizei lehnt Ermittlungen ab. Sie braucht eindeutige Tatsachen. Deshalb begibt sich Kirsten Bertram selbst auf Spurensuche und entdeckt organisierte Kriminalität.
Die "Dresdner Geschäfte" sind Kirsten Bertrams zweiter Fall, sie ermittelte bereits in Sachen "Dresdner Silberlinge". Und wieder zeigt die Autorin hinter der bildschönen Kulisse den Abgrund. Das ist flott erzählt. Das ist ironisch, spannend, und die Lösung überrascht. Kriminalautorin Beate Baum hat die Agatha Christie, Dorothy Sayers und Elisabeth George wohl gelesen. Zu diesen Vorbildern bekennt sie sich auch. Auf den behördlichen Ermittler verzichtet sie, weil sich mit der Hobbydetektivin mehr noch zeigen lässt. Und welcher Krimileser geht nicht selbst gern (den vom Autoren gelegten) Spuren nach. Sicher, die Heldin hat manchen Zug der Autorin (auch wenn sie dies bestreiten mag). Auch Beate Baum ist Dresden zugereist. Auch sie hat sich in diese Stadt verliebt. Sie ist freie Journalistin. In Sachen Mord ermittelt hat sie noch nicht.
Geboren wurde Beate Baum im Jahre 63 in Dortmund. Studiert hat sie in Bochum Germanistik, Literatur und Politik. Geschrieben hat sie immer schon. Der Berufswunsch Journalist war lang schon klar. Bereits das Volontariat führte Beate Baum gen Osten. "Freies Wort" und Stuhl in Erfurt. In der thüringischen Landeshauptstadt spielen auch Beates erste Kriminalgeschichten. Für diese bekam sie vom Verlag eine "wohlwollende Absage". Solch Brief kann beflügeln. Beate Baum schrieb "Dresdner Silberlinge" und dann ging's ganz schnell. In der DIE-Reihe (die's damals noch gab) erschien der Kriminalroman. Auch in diesem gerät Kirsten Bertram durch Zufall ins Verbrechen und in die HighTech-Branche. Dresden trägt den Namen "Silikon Valley des Ostens" stolz. Beate Baum sieht Industrie-Spionage und zwischenmenschliche Katastrophen. Mordmotive. Auch dieser Roman zeigt mehr als Dresdens schöne Bauten.
Mit dem zweiten Roman um Kirsten Bertram war die Vermarktung weniger günstig. Die DIE-Reihe war mangels Qualität und Fans zu Recht eingestellt worden. Das Verlagsprogramm hat die Legende verrecken lassen. Auch mit Beates Reputation und guter Kritik greifen Literaturverlage selten zu. Dann war's Zufall, dass der Leiter des Aufbau-Verlags den Kriminalroman entdeckte. Machen wir. Drucken wir. Seit Januar ist er erhältlich.
Die "Dresdner Geschäfte" sind weniger spektakulär. Es sind solche, die fast jeder tätigte. Sie bringen eben schnell den Euro, den man gern hätte. Und gewiss enden sie keineswegs so, wie man sich den Abschluss erträumte. Es fließen keine Ströme von Blut. Die Autorin wälzt sich nicht in Brutalitäten (die man ohnehin Dresden nicht zutraut). Ihre Heldin ist einfach sympathisch, wenn auch in Liebesdingen wankelmütig. Genau die Schwächen, die der Krimileser verzeiht, weil sie so menschlich machen. Das Charaktere der Handelnden sind lebensnah. Mord und Motivation nicht utopisch. Genauso, wie man die Kriminalgeschichten mag. Insofern ist dies Krimikost, die mundet. Und die Autorin hat das nächste Dresdner Gericht schon angerichtet.



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