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Christoph Schenker   23.01.2016   Bad Lausick, Evangelische Fachschule
von rls

Daß der Dozent beim Gitarrenseminar des Kirchenbezirks Leipziger Land am Samstagabend des Seminarwochenendes ein Konzert gibt, hat Tradition, und es ist entweder ein Solokonzert oder eins einer Band, in der er mitwirkt. So ist auch der Plan 2016: Dozent Matthias Ehrig stellt eine Hälfte des Duos Interloop, welches das Konzert bestreiten soll, dar - unglücklicherweise aber fällt seine Duopartnerin Franziska Hudl krankheitsbedingt kurzfristig aus, und zwar so kurzfristig, daß Ehrig keine Gelegenheit mehr hat, ein Soloprogramm zusammenzubasteln, da er solche sonst nicht spielt. Was tun? Zum Glück fällt ihm der Cellist Christoph Schenker ein, mit dem er in früheren Jahren Duoprogramme gespielt hat. Zwar reicht auch in diesem Fall die Zeit nicht, eins derselben zu reaktivieren, aber Schenker hat auch ein Soloprogramm in der Hinterhand, und er hat außerdem am besagten Abend auch Zeit und sagt zu - ergo ist der Gig gerettet.
Nun weiß der geneigte Hörer natürlich spätestens seit Apocalyptica (oder der Spezialist seit Cotu Cotu), was man mit Celli so alles anstellen kann - Schenker steht als Alleinkämpfer freilich noch vor dem Problem, sich selbst nur in eingeschränkter Form begleiten zu können. Aber da gibt es ja seit geraumer Zeit die schöne Erfindung der Loopstation, mit der man bestimmte Patterns live aufnimmt und dann per Pedalbrett zu- oder abschaltet, und wenn man das öfter macht, die Patterns geschickt schichtet und zudem weiß, was man aus seinem Effektgerät so alles herauszaubern kann, ergibt sich die Möglichkeit, auch als Einzelkämpfer bombastische Klanggebirge zu erzeugen, ohne daß man etwas vom Band dazuholen muß. Die Loopstationarbeit ist auch Seminarthema gewesen, und so stößt die praktische Vorführung natürlich auf besonderes Interesse bei den Teilnehmern, aber auch die dazugestoßenen Konzertbesucher sind beeindruckt von dem, was Schenker da auf die Beine stellt. Viele seiner Eigenkompositionen sind prinzipiell in einer Art A-B-A-Schema gehalten, etwa gleich der Opener "New Day Trip", der voluminösere Außenteile mit einem ruhigeren Mittelteil koppelt und die Vielschichtigkeit der Möglichkeiten bereits andeutet, die man in der folgenden reichlichen Stunde noch zu hören bekommen wird. "April Is Not True" etwa arbeitet mit einem gezupften Grundpattern und überrascht später mit einem blubbernden Effekt, während "Winter Garden Lavender Lady" eher sphärisch daherkommt, im A-Teil einen eher doomigen Unterbau erzeugt, diesen dann allerdings mit einem sehr eindringlich-sinistren Mittelteil kombiniert. "You Are What You're Doing" wiederum führt eine Bassdrum-Imitation ein, ist eher tanzbar gehalten und demonstriert, wie einfallsreicher Eurodance (böse Zungen mögen das als Oxymoron brandmarken) in der Liveumsetzung eines einzigen Cellisten klingen könnte. Das schon relativ alte Stück "Kaltwärmung für Olaf Schubert" führt grungig-düstere Harmonien ein, kombiniert sie mit einer oral erzeugten zzz-Percussion und wird im Schlußteil mit einer plötzlichen Beschleunigung richtig dramatisch. Nach viel Effekteinsatz in den vorgenannten Stücken bleibt das ebenfalls recht melancholische "Neumond" lange bei "natürlichen" Celloklängen, bevor der Schlußteil mit Zupfpassagen und sinistrem Geschleife eine andere Farbe einführt.
Haben sich die bisherigen Stücke bei der Entfaltung ihrer Elemente meist viel Zeit gelassen, geht Schenker nun zu etwas kompakteren Werken über, die teilweise auf Ideen basieren, mit denen er die Zwischenszenenmusik im Leipziger Kabarett academixer gestaltet: "3000 Akkorde vor 3 Leuten" etwa oder "Remembering Michael", wobei mit letzterem nicht etwa sein Nachnamensvetter Michael gemeint ist (der sich ja auch noch unter den Lebenden befindet), sondern Herr Jackson, so daß man in diesem durch vielfältige perkussive Elemente geprägten Stück die eine oder andere bekannte Melodie wiederzufinden glaubt. Gewißheit bezüglich des Wiederfindens herrscht dann im Folgestück, der ersten von zwei Coverversionen des Abends: "The Windmills On My Mind" aus dem Film "Thomas Crown ist nicht zu fassen", dahingehend äußerst interessant arrangiert, daß Schenker erst das Rhythmuspattern einspielt, dann die Leadstimme und erst zum Schluß die Harmoniestimme, was das aufmerksame Nachvollziehen der Entwicklung zur Pflicht macht und hier mehr überzeugt als im wieder etwas ausladenderen Setcloser "Alles Owen Pallutti", einem ähnlich benamten und auch ähnlich musizierenden kanadischen Geiger gewidmet. Hier baut der Cellist zunächst als Beatboxer eine monotone Bassdrumstimme, über die er danach eher höhenlastige Schichten legt, aber ohne verbindendes Element, was merkwürdig anmutet und erst im großen Finale ein organisch und "komplett" wirkendes Klanggebirge ergibt. Das Publikum läßt den Nadelstreifenhutträger aber natürlich nicht ohne Zugabe ziehen, und die ist brandaktuell: "Mit David Bowies Tod ist meine Kindheit vorbei", äußert Schenker über den keine zwei Wochen zuvor Verstorbenen, der ihn seit seinem 12. Lebensjahr über diverse Dezennien hinweg musikalisch begleitet hat, und um diesen Verlust aufzuarbeiten, hat er ein Arrangement von "Space Oddity" geschaffen, ein sehr gefühlvolles, prima auf der Klaviatur der technischen Möglichkeiten spielendes (man muß genau auf den schwachen, aber eben doch hörbaren echoartigen Spacehintergrund achten) und besonders im Finale eine brillante Tonmalerei zeigendes, das auch danach noch die Spannung lange stehenläßt und ein hochklassiges Konzert, das weit mehr als "nur" ein Ersatz für den eigentlichen Plan ist, kongenial abschließt.



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